von Jürgen Springer
Aus der Wochenzeitschrift CHRIST IN DER GEGENWART (Nr. 43/2011, Freiburg i.
Br., www.christ-in-der-gegenwart.de).
Das Werk, das Papst Benedikt XVI. beim Gottesdienst Olympiastadion überreicht worden war, folgt der Gedenktradition der Berliner Christen, die auch der Kirche Maria Regina Martyrum und im „Plötzenseer Totentanz“ von Alfred Hrdlicka ihren Ausdruck fand.
Die Künstlerin Diana Obinja erinnert mit einem Altarbild an die Opfer des Nazi-Terrors von Berlin-Plötzensee.
Ein originaler Fensterrahmen aus dem Treppenhaus der Justizvollzuganstalt Berlin-Plötzensee gibt dem Kunstwerk die Form. Diana Obinja hat ein Diptychon geschaffen, also ein zweigeteiltes Altarbild das an die zwischen 1933 und Kriegsende in Plötzensee von den Nazis hingerichteten 2891 Menschen erinnert.
Im letzten Jahr waren einige aus dem 19. Jahrhundert stammenden Stahlfensterkonstruktionen des Gefängnisses bei einer Renovierung ausgetauscht worden.
Der katholische Gefängnisseelsorger Thomas Marin brachte einen der Halbrundrahmen aus dem sogenannten Haus 1, dem früherem Todestrakt, zu Diana Obinja.
Die Idee für das Altarbild „war plötzlich da wie ein Geschenk des Himmels“ erzählte die 48 jährige Künstlerin, die aus dem russischen Odessa stammt, der Tageszeitung.
Obinja, die zuletzt unter anderem ein Evangelistar, ein liturgisches Verkündigungsbuch, für das Bistum Essen gestaltet hat und darüber hinaus mit Videoarbeiten, Zeichnungen und bildhauerischen Entwürfen bekannt wurde, zeichnete zunächst auf Büttenpapier mit Kreide und Pigmentfarbe die schattenhaft dunklen Umrisse der Bedrohung. Anschließend fotografierte sie das Ganze und fügte mit Computertechnik die Namen von NS-Opfern – und Tätern – ein. Das Ergebnis wurde in Acrylglas eingebrannt und in den Fensterrahmen eingepasst.
Entziffern lassen sich nur manche Namen, zum Beispiel der von Widerstandskämpfern wie Helmut James Graf von Moltke oder Alfred Delp. Eingefügt ist auch ein Fragment des Abschiedsbriefs von Peter Graf York von Wartenburg an seine Frau. Im linken Flügel finden sich Nazitäter. Der rechte listet die unendlich scheinende Folge der Gepeinigten und Ermordeten auf, deren Namen, Todesdatum und Verurteilungsgrund wie auf einer Himmelsleiter emporschweben – hinter der dreifachen Kreuzform der Fensterstreben und über sie hinaus ins Unendliche, Ewige. Der Titel „Plötzenseer Diptychon“ spielt auch auf das liturgische Gedenken an Lebende und Tote während des Hochgebets in der Eucharistiefeier an. Bis ins Mittelalter wurden die Namen aus den sogenannten Büchern der Lebenden und Toten (lateinisch: libri vivorum et mortuorum), den sogenannten Diptychen, vorgelesen. Mit demselben Wort bezeichnen Kunsthistoriker zweiteilige Altar- und Andachtsbilder. Die Künstlerin stellt die Erlösungstat Christi durch Kreuz und Auferstehung, die in der Eucharistie vergegenwärtigt, gefeiert wird, neben das Lebensopfer der Hingerichteten, die für ihre humane Überzeugung starben.
Kunstglasmembran mit Digitaldruck, 80 cm x 100 cm, 2011